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Canisiushaus: ein Ort für Kinder seit 125 Jahren

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Canisiushaus
Canisiushaus © privat

Wie die Franziskanerinnen das 1898 gegründete Canisiushaus in die Moderne geführt haben. Vier Schwestern erinnern an wegweisende Ereignisse.

Schwäbisch Gmünd. Vor 125 Jahren schlug die Geburtsstunde des Canisiushauses. Seither unterlag es einer Reihe von Veränderungen. Die franziskanischen Schwestern Birgitta (Generaloberin), Eleonore, Maxentia und Claudia erinnern an weit zurückliegende Zeiten. Teils aus Überlieferungen und seit 1946 aus erster Hand. Denn die dienstälteste Schwester Maxentia ist seit 77 Jahren im Gmünder Kloster der Franziskanerinnen.

Ganz am Anfang, so erzählen die Schwestern, war das Canisiushaus eine von Pfarrer Konrad Kirchner verwirklichte Kommunikantenanstalt. Darin wurden katholische Kinder aus dem protestantisch geprägten Umland Schwäbisch Gmünds auf die Erstkommunion vorbereitet. Namenspatron dieser Einrichtung wurde der heilige Petrus Canisius, dessen 300. Todestag erst ein Jahr zuvor, also 1897, gefeiert worden war. Die ersten vier Jahre befand sich das Canisiushaus in der Paradiesstraße. Den Unterricht hielt Pfarrer Kirchner, die Betreuung übernahmen anfangs noch Vinzentinerinnen von Untermarchtal. Als das Gebäude zu klein wurde, half die Arztwitwe Agnes Philippine Walter mit einem Bauplatz in der Heugenstraße und mit Kapital für ein neues Haus aus. Am 1. Mai 1902 zog Pfarrer Kirchner mit drei Vinzentinerinnen und 20 Jungen und Mädchen von der Paradiesstraße in das neu erbaute Canisiushaus in der Heugenstraße um.

Neue Aufgabe

Sechs Frauen einer damals noch laienmäßig organisierten franziskanischen Gemeinschaft zogen mit ein. Zunächst widmeten sie sich zwei Jahrzehnte lang ausschließlich der ewigen Anbetung in der Hauskapelle und der Paramentenstickerei. Weitere Frauen schlossen sich ihnen an, 1921 wurden sie zur „Genossenschaft in der Welt lebender Tertiarinnen vom heiligen Franziskus“. „Sie mussten sich fragen, wohin sich ihre Gemeinschaft entwickeln sollte“, erzählt Schwester Birgitta. So übernahmen sie 1923 von den Vinzentinerinnen die Betreuung der Kommunikanten und bald auch die Lehrtätigkeit im Canisiushaus, das sich nun zum Kinderheim mit Volksschule entwickelte. „Zum Heim wurde es für Kinder, die nicht gut gefördert waren, sie stammten eigentlich immer aus armen Verhältnissen“, erläutert Schwester Eleonore. Und: „Entweder brachten die Eltern oder der Pfarrer sie ins Canisiushaus. Einweisungen durch das Jugendamt gab es ja noch gar nicht.“ 1930 öffnete der Kindergarten im Canisiushaus für 50 Kinder. 1931 wurde die Gemeinschaft als Kongregation kirchlich anerkannt, in den 30er-Jahren wuchs sie auf mehr als 70 Schwestern.

Rausgeworfen im Krieg

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die Nationalsozialisten das Canisiushaus, um es als Hilfskrankenhaus und Umsiedlungslager zu benutzen. „Die Schwestern mussten mit 70 Kindern nach einer neuen Unterkunft suchen“, sagt Schwester Eleonore. Diese fanden sie erst in Schelklingen bei Ulm, dann im Priesterseminar Rottenburg und zum Schluss im Kloster Heiligenbronn bei Schramberg. 1946 kehrten sie zurück nach Gmünd – mit 110 Kindern. „Das Haus war total verkommen. Überall Wanzen und Flöhe“, erinnert sich Schwester Maxentia. „Das ganze Haus musste renoviert werden.“

Mit dem Leiterwagen zum Sammeln

Die Nachkriegszeit barg viele unmittelbare Nöte, derer sich die Schwestern annahmen. Wie auch schon vor dem Krieg zogen sie, oft mit Leiterwagen ausgestattet, zu den Landwirten im Umkreis, um Nahrung für sich und die Kinder zu sammeln. Schwester Birgitta: „Für Glaubensgemeinschaften, die sich für soziale Belange einsetzen, gab es damals überall Unterstützung aus der Bevölkerung.“

Neu war der akute Raummangel, den der Krieg indirekt verursacht hatte. Schwester Eleonore: „Viele Eltern hatten mitten im Wiederaufbau schlicht kein Geld und keine Zeit mehr für ihre Kinder. Sie wollten sie aber trotzdem gut ausgebildet wissen. Die Canisius-Schule genoss einen guten Ruf. Auch bei Betrieben.“

Schenkungen machten es möglich, dass die Franziskanerinnen in den folgenden zwei Jahrzehnten einige Wohngebäude errichteten, um Hunderten von Kindern Raum, Schutz, Versorgung und eine grundlegende Erziehung anzubieten. Wie etwa im ehemaligen Höhenrestaurant „Sonnenhof“, das sie zu Kinderheim und Grundschule umbauten und 1952 für drei Gruppen mit je 30 Kindern öffneten.

„Er hatte ja recht“

Und wie auch im 1961 eingeweihten Don-Bosco-„Hochhaus“ an der Waldstetter Brücke, das Platz für sechs neue Wohngruppen schuf. Zur Einweihung führte Schwester Editha mit den Kindern das Geigerle von Gmünd auf. „Das änderte jedoch“, so Schwester Birgitta, „nichts daran, dass der damalige Oberbürgermeister Klaus unseren Neubau gar nicht wohlwollend betrachtete.“ Weil das Gebäude nicht ins Stadtbild passe. „Er hatte ja recht“, sagt sie schmunzelnd und ihre Mitschwestern stimmen mit ein. Im Übrigen wurde in diesem Zusammenhang Schwester Maxentia Ende der 50er zur ersten Autofahrerin der Franziskanerinnen: „Der Architekt überließ uns seinen Borgward.“ 

Auf fachlichem Fundament

1964 wurde Schwester Eugenia zur Generaloberin gewählt. „Mit ihr setzte ein verstärktes Bestreben nach fachlicher Ausbildung ein. Sie war sehr an Fortschritt interessiert, in der Zeit hat sich viel bewegt“, sagt die heutige Generaloberin Schwester Birgitta. In der Folge machten zahlreiche Schwestern heilpädagogische, sozialpädagogische und sonderpädagogische Aus- und Weiterbildungen. 1967 wurde die Canisius-Schule zur Sonderschule für Erziehungshilfe. 1977 eröffnete die erste Beratungsstelle. Und in den Wohngruppen wurden neue Ideen und Ansätze entwickelt. Zum Beispiel mit der Öffnung für Tagesbetreuungen, woraus 1980 die erste Tagesgruppe resultierte. „Außerdem“, so Schwester Claudia, „hielten bereits Anfang der 70er altersgemischte und gemischtgeschlechtliche Wohngruppen Einzug.“

Rückzug und Übergabe

In den 1990ern fingen die Franziskanerinnen an, sich aus der Kinder- und Jugendhilfe zurückzuziehen. Schwester Eleonore: „Alles muss sich immer weiter entwickeln. Da konnten wir in unserem Alter nicht mehr Schritt halten.“ Und Schwester Birgitta fügt an: „Uns war auch wichtig, das geistliche Leben wieder mehr zu pflegen.“ Die Leitungen der mittlerweile drei Einrichtungen Canisius-Jugendhilfe, Canisius-Beratungsstellen und Canisius-Schule gaben sie nach und nach in externe, jüngere Hände.

1997 wurde das Canisiushaus zur gemeinnützigen Kinder- und Jugendhilfe GmbH. Drei Jahre später zogen die Franziskanerinnen um in das neue Kloster in der Bergstraße. 2001 folgte die Gründung der Franz von Assisi Gesellschaft als Dachorganisation für das Canisiushaus und St. Josef in Stuttgart. Die Schwestern hinterließen ihre franziskanischen Grundsätze und Leitlinien, die heute noch beachtet und stetig weiterentwickelt werden. 2007 gründeten sie die Agnes Philippine Walter Stiftung und führten damit ihr soziales Engagement weiter, für Menschen in Not, vor allem für Frauen und Kinder.

2008 schied schließlich in Schwester M. Regina Waibel mit ihrer Wahl zur Generaloberin die letzte Ordensschwester aus dem Erziehungsdienst des Canisiushauses aus. „Wir haben unsere Lebensordnung neu geschrieben“, sagt Schwester Birgitta. Seit Herbst 2021 widmen sich die Franziskanerinnen ihrer wiederum neuen Aufgabe: dem Kloster-Hospiz.    

Veranstaltungen im Jubiläumsjahr

29. März: Tag der Information in den Canisius-Beratungsstellen (Beginn ist um 14 Uhr)

2./3. Mai: Bundesweite Fachtage Traumapädagogik

9. bis 16. Juli: Jubiläumsbeiträge des Klosters

16. Juli: Canisius-Sommerfest mit Jubiläumsfestakt

7. Oktober: Herbstfest auf dem Sonnenhof

Canisiushaus
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