Ein Buch für ein ganzes Jahr

Michael Länge schreibt über eine schlafende Leseratte.
Ich bin eine Leseratte. Eigentlich. Dieser Tage jedoch nicht so sehr. Weil sie mich jagen, diese vorweihnachtlichen Advents- und Weihnachtsfeiern. Die die Redaktion fluten. Ich höre die Chöre, die „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ singen. Ich rieche die Kerzen, die die Tannenbäume schmücken. Und ich sehe die Nikoläuse, die in leuchtende Kinderaugen schauen. Einmal am Tag, denke ich, nachdem ich die 127. Adventsfeier verarbeitet habe, muss ich etwas anderes lesen. Ich nehme mir dies für den Abend vor. Das neueste Buch meines Lieblingsschriftstellers, des Briten Ian McEwan, 700 Seiten dick. Und freue mich ... kurz! Weil: Wenn ich des Abends das Buch in die Hand nehme, schaffe ich fünf Seiten. Weshalb nur fünf? Fragen Sie nicht ... Am nächsten Morgen rechne ich: Bei 700 Seiten und fünf Seiten am Tag dauert's 140 Tage. Also etwa bis Mai. Das ginge ja noch. Wären da nicht diese drei Seiten! Die drei der fünf, deren Inhalt ich am nächsten Morgen wieder vergessen habe. Das heißt: Ich blättere zurück. Drei Seiten. Was eine ganz neue Rechnung gibt. 700 Seiten. Jeden Tag fünf. Minus drei. Macht zwei. Ich rechne weiter: Bei zwei Seiten am Tag und 700 Seiten im Buch brauche ich 350 Tage. Hey, denke ich, da ist ja fast wieder Weihnachten. Mindestens aber Advent. Juhuuu!