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Die große Feier zum 50-jährigen Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Deutschland fällt aus. Vor allem auf deutscher Seite ist man verstimmt. Doch der Grund für die Enttäuschungen ist nicht nur in Peking zu suchen.
- Vor 50 Jahren nahmen die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik China diplomatische Beziehungen auf. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten hat sich seitdem mehrfach gewandelt.
- Heute sind die deutsch-chinesischen Beziehungen so kompliziert wie lange nicht mehr. Einen Grund zum Feiern sehen in der Bundesrepublik nicht viele.
- Dieser Text liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 11. Oktober 2022.
Berlin/Peking – Wu Ken mühte sich redlich, als er das Wort an die geladenen Gäste im Ritz-Carlton im Herzen Berlins richtete. Eigentlich war es der offizielle Empfang zum chinesischen Nationalfeiertag, doch Chinas Botschafter sprach fast ausschließlich über 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und China. Er lobte den Mut der Anfangsjahre und pries die gedeihliche Zusammenarbeit: So werde heute pro Minute ein Handelsvolumen von fast einer halben Million Euro erreicht, ungefähr das Tausendfache im Vergleich zu den 1970er-Jahren. Für ihn seien die Beziehungen zwischen China und Deutschland wie eine inhaltsreiche und zeitlose CD, die er auch nach unzähligem Hören immer noch gerne abspiele.
Allerdings zeigte sich an diesem Abend auch, dass man auf deutscher Seite derzeit kein gesteigertes Interesse daran hat, in die Jubel-Arien einzustimmen. Ranghöchste Vertreterin des politischen Berlins war Staatsministerin Katja Keul. Ansonsten waren vor allem Größen der Vergangenheit anwesend, wie der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder oder Ex-BND-Chef August Hanning.
Ohnehin hört man von der aktuellen Regierungsriege derzeit vor allem kritische Töne: Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte im Mai auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos an, man werde die Volksrepublik künftig anders behandeln als bisher. Als Grund nannte er unter anderem die Gräueltaten, die Peking an den Uiguren in Xinjiang begehe. Bei Annalena Baerbock klingt es ähnlich: China zeige immer häufiger, dass Regeln nicht unbedingt zu gelten hätten, wenn es um eigene Interessen geht. Dies gefährde die Grundlage für unser gemeinsames, friedliches Leben, sagte die Außenministerin im Juli.
Die Geschichte der Volksrepublik China von 1949 bis heute




China und Deutschland: Die Beziehungen sind deutlich abgekühlt
Es ist frostig geworden zwischen China und Deutschland. Einer, der jene Beziehungen ganz persönlich mitgestaltet hat, ist Volker Stanzel. Der ehemalige deutsche Botschafter in China räumt ein, dass es derzeit schwierig bestellt sei um die chinesisch-deutschen Beziehungen. Das gilt jedoch nicht für die gesamte Gesellschaft: „Wir hören derzeit viel darüber, wie schlecht sich die Beziehungen gestalten. Gleichzeitig sagen unsere Unternehmer, dass es durchaus gut geht und vor allem auch zukünftig weiter gut laufen wird.“
Probleme habe man hingegen in Bereichen, in denen es in der Vergangenheit gut gelaufen sei, die unter Chinas Staatsführer Xi Jinping allerdings radikal beschnitten worden sind: dem zivil-gesellschaftlichen Austausch, sei es in Kunst, Kultur oder in der Wissenschaft. „Diese Verbindungen sind unter Xi regelrecht ausgedörrt“, sagt Stanzel, der dennoch zur Gelassenheit mahnt. Die Beziehungen zwischen China und Deutschland könne man mit Wellenbewegungen vergleichen: Auf ein Hoch folge nun mal leider auch ein Tief.
Die Kontakte zwischen China und Deutschland: ein historischer Zufall
Das war seit 1972 so, als alles begann. Damals fädelten der Xinhua-Journalist Wang Shu und der mit dem späteren Bundeskanzler gleichnamige CDU-Politiker Gerhard Schröder innerhalb weniger Wochen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein. Helmut Schmidt drängte Kanzler Willy Brandt als Minister dazu, ein entsprechendes Angebot der Chinesen anzunehmen. Am 11. Oktober 1972 wurde das offizielle Kommuniqué unterzeichnet.
Es war ein historischer Zufall. Denn obwohl ein regelrechtes Wettrennen nach Peking ausgebrochen war – 1971 wurde China in die UN aufgenommen, im Februar 1972 reiste mit Nixon erstmals ein US-Präsident in die Volksrepublik, im September nahmen Peking und Tokio Beziehungen auf – hatte die Bundesrepublik Deutschland weder ein wirtschaftliches noch ein geopolitisches Interesse an der Volksrepublik. China war bitterarm und seit sechs Jahren im politische Chaos versunken. Nach einer katastrophalen Hungersnot, ein Jahrzehnt zuvor, hatte Mao Zedong Mitte der 1960er-Jahre die Kulturrevolution losgetreten. Rotgardisten wüteten im ganzen Land, Millionen Menschen kamen ums Leben.
Und so lag die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor allem im Interesse Chinas, Peking wollte sich aus der Umklammerung der Sowjetunion lösen und im Westen eine rasche Anerkennung erreichen. „Unsere Beziehungen mit China nahmen dementsprechend einen sehr vorsichtigen Anfang“, formuliert es Stanzel denn auch diplomatisch.
Deutschland und China: Nach dem Tiananmen-Massaker ist alles anders – zumindest vorübergehend
Es folgte der große Aufschwung mit der Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping. Mutige Unternehmen wie beispielsweise Volkswagen wagten den Sprung nach China. Doch schon wenige Jahre später schien das Ende gekommen, mit der blutigen Niederschlagung der Proteste rund um den Tiananmen-Platz im Juni 1989. „Damals schien alles kaputtzugehen“, erinnert sich Stanzel. „Wir alle waren tief schockiert und verzweifelt. Keiner von uns wusste, wie es mit China überhaupt weitergehen sollte.“ Stanzel selbst wurde 1990 nach Peking geschickt und sollte genau das herausfinden.
Und auch in den 2000er-Jahren folgte auf eine China-Euphorie die große Ernüchterung: China war gerade der Welthandelsorganisation beigetreten – und machte klar, dass Peking sich keinesfalls an die vielen Versprechen bezüglich einer marktwirtschaftlichen Entwicklung halten wollte.
Doch auch wir in Deutschland erlebten wechselnde Haltungen gegenüber China. Um nur zwei durchaus konträre Beispiele zu nennen: Einerseits besuchte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nur wenige Jahre nach Tiananmen die chinesische Volksbefreiungsarmee. Andererseits wurde der Dalai Lama eingeladen, im Deutschen Bundestag zu sprechen.
50 Jahre Beziehungen zwischen Deutschland und China: Zeit für Selbstfindung
Manche Unternehmen investieren Milliarden in ihre „zweite Heimat“, andere ziehen sich vorsorglich aus dem Land zurück oder lassen sich gar nicht erst nieder, weil sie unfaire Wettbewerbsbedingungen beklagen. Ein anderes Mal wird der chinesische Film zur Reinkarnation der reinen Cineastik verklärt. Es scheint, als würde Deutschland regelmäßig von einem immer wiederkehrenden Phänomen ergriffen: Chinoiserie – der Inspiration durch ein Land, das einem dennoch fremd ist – in all ihren unterschiedlichen Facetten.
Und so mag nun manch einer bemängeln, dass es zu „50 Jahre diplomatische Beziehungen“ keine großen Feiern gab. Ja, es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den derzeit überaus frostigen Beziehungen zumindest wieder etwas Wärme zu geben. Doch statt um ein konkretes Datum sollte es in Wirklichkeit um etwas Anderes gehen: um einen echten Austausch. Dazu gehört selbstverständlich die viel zitierte Neugierde. Aber auch eine gewisse Selbstsicherheit. Denn nur, wenn man sich über sich selbst, seine Werte und seine Ziele im Klaren ist, kann man in einen echten Austausch mit seinem Gegenüber treten. Andernfalls lässt man sich allzu schnell lenken – und auf ungläubige Euphorie folgt zwangsläufig die nächste große Enttäuschung. Seit Monaten wird eine China-Strategie der Bundesregierung angekündigt. Seit Monaten wird sie verschoben.
Nicht von ungefähr hört man in Deutschland immer wieder den Vorwurf, China habe einen Plan, den es zielstrebig verfolge. Das ist richtig – und doch wohlfeil. Denn: Statt sich über Chinas Strategie zu beklagen, wäre es höchste Zeit, selbst eine Strategie zu entwickeln. Damit zum nächsten Jubiläum beide Seiten Lust zu feiern haben.
Von Michael Radunski
Michael Radunski berichtete viele Jahre aus Indien und China über Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Besonders prägte ihn sein Aufenthalt in Chinas Hauptstadt Peking. Vor seinem langen Aufenthalt in Asien arbeitete Michael Radunski für die FAZ, wo er unter anderem am Onlineauftritt der Zeitung mitarbeitete. Seit kurzem ist Radunski wieder in Deutschland und arbeitet als Redakteur das China.Table Professional Briefing.
Dieser Artikel erschien am 11. Oktober 2022 im Newsletter China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht er nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.