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„Die USA sind viel mächtiger als China, aber Xi Jinping ist der mächtigste Mann der Welt“

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Von: Michael Radunski

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China und die USA gehen weiter auf Konfrontationskurs. Politologe Ian Bremmer erklärt im Interview, wie es weitergehen kann zwischen den beiden Großmächten.

Herr Bremmer, der Streit um den mutmaßlichen chinesischen Spionageballon hat zuletzt für große Aufregung gesorgt. Wie groß ist der Schaden für die Beziehungen zwischen China und den USA?

Marginal.

Marginal, bei all der Aufregung? US-Präsident Biden hat sogar Kampfjets aufsteigen und das Ding abschießen lassen. Warum dann die ganze Aufregung?

Es ist in der Tat wichtig, die Hintergründe zu verstehen. Die Aufregung ist ein Spiegel der aufgeheizten öffentlichen Stimmung in den USA. Die US-Öffentlichkeit ist einerseits tief gespalten, beim Thema China aber andererseits sehr einig. Und hier ist man sehr streitsüchtig. 

Keine gute Grundlage für rationale Politik.

Nein. Aber diese aggressive Streitsucht ist nicht die Politik der Biden-Administration. Allerdings kann es sich Präsident Biden nicht erlauben, schwach auszusehen. Wie damals beim Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi.

Zur Person

Ian Bremmer ist Politikwissenschaftler. Er ist Präsident und Gründer der Eurasia Group, eines Forschungs- und Beratungsunternehmens für politische Risiken. Bremmer hat mehrere Bücher verfasst, darunter den Bestseller „Us vs Them: The Failure of Globalism“. Derzeit lehrt er zudem an der School of International and Public Affairs der Columbia University.

Und jetzt wieder.

Biden wusste doch von dem Ballon. Die USA haben ihn vom Start in Hainan an beobachtet. Außenminister Blinken wollte trotzdem nach China reisen, und niemand wollte den Ballon abschießen. Doch dann wurde das Thema öffentlich.

Nochmals: Das ist nicht gut für eine vorausschauende Politik. Und die braucht es dringend.

Richtig. Aber das Gute ist, die aufgeheizte Stimmung wird die grundlegende Politik der Biden-Administration nicht verändern. 

„Xi Jinping ist der mächtigste Mann der Welt“

Schauen wir auf China. Hat Xi Jinping willentlich den Beziehungen zu den USA Schaden zugefügt? Oder wusste er nicht, was das chinesische Militär gerade tut? Beides wäre beunruhigend.

Xi weiß genau über das chinesische Ballon-Programm Bescheid. China hat ja auch in der Vergangenheit mehrmals Ballons Richtung USA geschickt. Aber immer nur kurz oder über eine Insel wie Guam oder Hawaii. Dieses Mal scheint der Ballon jedoch tatsächlich von seiner Route abgekommen zu sein und flog über Amerika. 

Ein Moment, in dem man hätte eingreifen können.

Man hätte die Amerikaner informieren sollen. Aber in diesem Moment hat wohl jemand im chinesischen Militär gedacht, nutzen wir doch dieses Versehen zu unserem Vorteil und schauen mal genauer hin. Wie es dann gekommen ist, darüber war Xi intern nicht begeistert.

Ist Chinas Militär hier also zu weit gegangen?

Nein. Denn das würde implizieren, dass es gewollt war. Aus meiner Sicht war die Ausführung einfach schlampig. Denn im Grunde haben die Chinesen weitaus bessere Spionage-Möglichkeiten als diese Ballons.

Es wirft die Frage auf, wie mächtig ist Xi Jinping überhaupt?

Oh, machen Sie sich nichts vor. Er ist der mächtigste Mann der Welt. 

Und das aus dem Munde eines Amerikaners?

Ja. China ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, und Xi ist Präsident auf Lebenszeit. Er hat über die vergangenen Jahre hinweg unglaublich viel Macht in seiner Hand gebündelt, und ist umgeben von einem Kreis loyaler Parteikader. 

„Die USA sind nach wie vor die Weltmacht Nummer eins, immer noch viel mächtiger als China“

Und Joe Biden?

Die USA sind nach wie vor die Weltmacht Nummer eins, immer noch viel mächtiger als China. Aber kein amerikanischer Präsident hat derart viel Entscheidungsmacht wie Xi in einem autoritären Staat mit kontrolliertem Staatskapitalismus und umfassender technologischer Überwachung. Und ganz ehrlich: Kein Amerikaner möchte einen derart mächtigen Präsidenten haben, eine Person, die so viel Macht auf sich vereint.

Wenn wir gerade über Stärke sprechen: Wie stark ist Chinas Militär?

Es ist eine regionale Gefahr. Aber was wir ganz deutlich sehen: Sicherheitspolitisch wird die Welt noch immer von den USA angeführt. Die USA sind die einzige Macht, die weltweit Einfluss ausübt. Ohne die Amerikaner würde es keine signifikante Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine geben. Die USA verfügen weltweit über Militärbasen und haben zudem die höchsten Militärausgaben.

Gibt es einen Bereich, in dem Chinas Militär mithalten kann?

Durchaus. Im Technologiebereich gibt es viele Sektoren, in denen die Chinesen inzwischen auf Augenhöhe mit den USA sind.

Schon auf Augenhöhe?

Ja. Zum Beispiel in der Gesichtserkennung. Oder in der digitalen Datengewinnung, die Peking dann auch noch weiß, zu nutzen. Das ist eine Herausforderung für die nationale Sicherheit. Deshalb reagieren die USA mit Technologie-Sanktionen.

„Wenn Taiwan fällt, würden die US-Verbündeten in Asien wohl viel enger an die USA rücken“

Sie sagten, Chinas Militär ist eine regionale Bedrohung. Da denkt man sofort an Taiwan. Sicherheitsexperten, mit denen ich hier auf der Konferenz gesprochen habe, sagen: Was in der Ukraine passiert, ist schlimm. Aber sollte das mit Taiwan passieren, wäre es ungleich schlimmer. 

Das stimmt. Der weltweit wichtigste Konzern befindet sich in Taiwan: der Chiphersteller TSMC. Die Konsequenzen wären global noch viel dramatischer als das, was wir derzeit wegen des Ukraine-Kriegs im Bereich Nahrung und Dünger erleben. Und diese Probleme sind für viele Länder schon dramatisch. Zudem würde ein Krieg zwischen den beiden führenden Weltmächten zu dramatischen Verwerfungen führen bei Versorgungsketten, wirtschaftlichen Beziehungen und so weiter. 

Welche Auswirkungen hätte eine Aggression gegen Taiwan auf die Demokratien der Welt?

Es hätte wahrscheinlich umfassende bündnispolitische Auswirkungen. Wenn Taiwan fällt, würden die US-Verbündeten in Asien wohl viel enger an die USA rücken, so wie der Ukrainekrieg Finnland und Schweden in die NATO treibt. Japan, Südkorea, Neuseeland, Australien könnten zu dem Schluss kommen, dass sie fester Bestandteil einer US-geführten Allianz werden sollten. Ganz zu schweigen von Konsequenzen für die Länder des globalen Südens.

Ist sich Xi Jinping all dieser möglichen Konsequenzen bewusst?

Xi Jinping sieht gerade, wie stark der Westen auf die russische Invasion reagiert. Im vergangenen Jahr war das Thema der Sicherheitskonferenz „Westlessness“. Dieses Jahr sieht es ganz anders aus, es ist „Westfullness“. Und das hilft China nicht unbedingt. 

Dieser Text erschien am 20. Februar 2023 im China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht es nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

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