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„Hart aber fair“-Moderator will in Flüchtlingsdebatte vom Thema ablenken

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Moderator Klamroth mit seinen Gästen bei „Hart aber fair“.
Moderator Klamroth mit seinen Gästen bei „Hart aber fair“. © ARD Mediathek (Screenshot)

Deutschland an der Belastungsgrenze? Diese Frage will Louis Klamroth in der ARD klären. Stattdessen geht es aber mehr um die Belastungsgrenze einzelner Flüchtlinge.

Berlin – Mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge im neuen Rekordjahr 2022 – ist Deutschland an der Belastungsgrenze? Bei diesem Thema würde der Zuschauer in der ARD erwarten, dass nach den jüngsten Kriminalstatistiken der Rekordanstieg bei Gewaltdelikten, mangelhafte Integration oder Wirtschaftsflucht in das deutsche Sozialsystem zumindest zur Sprache kommen.

Stattdessen beschäftigt sich die Runde bei „Hart aber Fair“ fast ausschließlich mit einem anderen Thema: Flüchtlinge, die gut integriert sind und trotzdem abgeschoben werden sollen. Gleich drei Beispiele werden an diesem Abend diskutiert und das selbstgesteckte Thema nur gestreift.

Flüchtlingsdebatte bei „Hart aber fair“ - Mietern wird gekündigt

Dass in Lörrach den Mietern eines ganzen Gebäudekomplexes gekündigt wird, um Migranten unterzubringen, sieht CDU-Politiker Jens Spahn als Zeichen dafür, dass „wir an der Grenze“ sind, doch die ARD-Moderatorin Schayani stört sich eher daran, dass die Redaktion „so ein Beispiel rausgreift“. Dass in Berlin die evangelische Kirche ein Altenstift räumen lässt, die Senioren umquartiert und die Möbel auf den Müll wirft, um besser bezahlte Flüchtlingsplätze zu schaffen, ist für die Runde kein Anlass zur Kritik. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Haßelmann beschwichtigt: Viele Kommunen würden mit der Situation „gut zurecht“ kommen. In ihrer Heimat Bielefeld etwa sei alles okay.

Von Kontrollverlust dürfe man nicht reden, weder an den Grenzen, noch in den Kommunen. „Irgendwann wird auch Bielefeld an die Grenze kommen“, gibt Spahn zu Bedenken, doch Schayani appelliert: „Ich warne davor, eine Stimmung da rein zu interpretieren, die sich nicht mit dem vor Ort deckt.“ Sie selbst habe mit sieben Städten telefoniert. Ergebnis: Die Unterbringung sei dort kein Problem. Außerdem gebe es „so viele Helden an der Front“.

Landrätin Schweiger schlägt bei „Hart aber fair“ Alarm

Die Regensburger Landrätin Schweiger sieht das anders. „Die Situation wird von Tag zu Tag angespannter“, sagt sie. Angesichts der enormen Zahl von Flüchtlingen – 2022 bereits zweieinhalbmal so viele wie im bisherigen Rekordjahr 2015 – wüssten sich Kommunen nicht mehr zu helfen. „So wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen“, sagt Schweiger. Sie selbst habe bereits ein Donau-Kreuzfahrtschiff chartern müssen, um Asylanten unterzubringen. „Wir haben 30.000 Asylanträge allein im Januar gehabt“, sagt Spahn. „Wir sind darauf nicht ausreichend vorbereitet. Und Flüchtlingsgipfel finden statt, ohne konkrete Ergebnisse.“ Schweiger setzt nach: „Es kann nicht sein, wir machen einen Arbeitskreis und reden nach Ostern wieder darüber.“ Spahn plädiert dafür, die Einreise bereits an den EU-Außengrenzen besser zu kontrollieren.

Der Grünen-Aktivist Alaows wirft Spahn daraufhin vor, er wolle „eine Obergrenze einführen“, was dieser allerdings gar nicht gesagt hatte. Das sei unmenschlich. Der Geschäftsführer von ProAsyl berichtet detailliert über mehrere Einzelbeispiele von Asylanten, die abgeschoben werden sollen, obwohl sie schwerkrank oder auf gutem Wege sind, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Die Runde diskutiert sehr ausführlich über diese Fälle und verliert dabei den Blick auf das eigentliche Thema der Sendung. Moderator Klamroth entgleitet die Gesprächsführung.

Wie schon in der Sendung vom 13. Februar, lässt er die Runde debattierend allein und wendet sich resigniert seiner Kollegin Brigitte Büscher zu, weil er keine Ruhe in die aufgeheizte Situation bringen kann. Doch auch Büscher bringt ein Beispiel, das die Diskussion weg vom eigentlichen Thema des Abends führt: ein Jugendlicher aus Eritrea, der abgeschoben werden soll, obwohl er gerade bei der Feuerwehr ein Praktikum macht.

 „Hart aber fair“: Diese Gäste diskutierten mit Louis Klamroth

Klamroth lässt Zahlen einspielen: Zurzeit sind 300.000 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig, 57.000 leben hier, die eigentlich sofort abgeschoben werden müssten, doch nur 12.945 Menschen haben tatsächlich das Land verlassen. Spahn fordert hier stärkeres Durchgreifen und fragt, ob denn auch Alaows zustimme, dass man bei einem abgelehnten Asylantrag auch tatsächlich abschieben dürfe. Eine Antwort bekommt er trotz mehrmaliger Nachfrage nicht. Alaows kommt stattdessen mit weiteren Einzelfällen von Menschen, die abgeschoben werden sollen, obwohl sie bereits integriert seien. Spahn resigniert: „Sie vertreten hier ProAsyl. Ich würde mir wünschen, dass Sie das auch anerkennen.“

Spahn fordert bei „Hart aber fair“ mehr Kontrollen an den EU-Außengrenzen

Alaows kontert mit einer Unterstellung: „Sie wollen das Recht auf Asyl abschaffen.“ Spahn tue so „als hätten wir Grenzenrechte und keine Menschenrechte“. Klamroth gelingt es nicht, solche Falschaussagen zu entlarven und richtigzustellen. Er reagiert übervorsichtig, nachdem er in der vergangenen Sendung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht vorgeworfen hatte, Fake-News zu verbreiten. Einen Tag später im obligatorischen Faktencheck der Sendung hatte Klamroth eingestehen müssen, dass er selbst Falschnachrichten verbreitet und Wagenknecht Recht gehabt hatte. Seitdem wurden Forderungen laut, ihm die Moderation zu entziehen. In der jetzigen Sendung lässt er den CDU-Europaabgeordneten Manfred Weber einspielen, der einen Schnellcheck bereits an den EU-Außengrenzen fordert, um der Massenimmigration Herr zu werden.

Spahn unterstützt das: „Warum zahlen wir Milliardenbeträge an die Türkei? Genau aus dem Grund.“ An den Außengrenzen der EU sei ein „Kontrollverlust“ das Hauptproblem. Man müsse dafür sorgen, dass nicht alle nach Europa und nicht die meisten in Europa nach Deutschland kommen. „Das heißt dann aber auch, irreguläre Migration zu unterbinden. Und zwar idealerweise nach Start an der libyschen Küste und nicht vor der italienischen Küste nach der gefährlichen Überfahrt, sondern zu Beginn der gefährlichen Überfahrt. Meine feste Überzeugung ist, wenn wir das eine Zeit lang machen, bis die Botschaft – und die geht ja sehr schnell in dieser digitalen Welt um die Welt – klar ist: Dieser gefährliche, zu oft tödliche Weg ist keiner mehr. Aber es gibt einen regulären Weg, der aber natürlich nicht unbegrenzt ist.“

Fazit des „Hart aber fair“-Talks

Klamroth konnte keine Diskussionskultur schaffen. Der Talk ging am selbstgesteckten Thema vorbei und war anstrengend zu verfolgen. Britta Haßelmann gelang es, ihre Gesprächspartner in stoischer Gelassenheit niederzureden und dabei mit vielen Worten wenig zu sagen. Alaows verlor sich in Einzelbeispielen. Dass der ProAsyl-Geschäftsführer für die Grünen in den Bundestag einziehen soll, hätte Moderator Klamroth dem Publikum aus Transparenzgründen mitteilen müssen. (Michael Görmann)

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