„Einige wollten sie weg haben“: Als es um Merkel-Putschversuch geht, reagiert Schäuble bemerkenswert

Schäuble spricht bei Lanz über einen Putschversuch gegen Merkel, eigenen Versäumnisse im Verhältnis zu Russland und seine Sorge vor einer neuen Flüchtlingswelle.
Hamburg – Es kommt nur selten vor, dass Markus Lanz seine Sendung für einen einzelnen Gast freiräumt. Etwa vor einigen Jahren, als Bill Gates unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen in einem Nebenraum des Studios ohne Publikum, was damals für gewöhnlich noch im Hintergrund saß, mit Lanz sprach. An diesem Mittwoch war es wieder soweit – für einen Mann, der seit 50 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages ist: Dr. Wolfgang Schäuble (CDU).
Bereits im Intro macht Lanz keinen Hehl aus seiner Anerkennung für die Lebensleistung des Politikers. Dass dies kein Fehler war, wird sich im Laufe des Gesprächs herausstellen. Denn Schäuble spricht an vielen Stellen überraschend ehrlich über seine Sicht der Dinge auf das aktuelle politische Geschehen, über Weggefährten und über vergangene Entscheidungen, bei denen er sich selbst nicht von Fehlern ausnimmt.
„Markus Lanz“ - dieser Gast diskutierte am 14. Dezember:
- Wolfgang Schäuble (CDU) – ehemaliger Finanz- und Innenminister
Rückblende auf das Jahr 2015: Natürlich, da wäre die sogenannte Flüchtlingskrise, aber auch der CDU-Parteitag. Im Vorfeld des Parteitags wurde es innerhalb der Union unruhig, wie auch Schäuble mitbekommen hat. „Einige wollten Merkel weghaben“, sagt er lapidar. Lanz hakt nach, ob die Situation vergleichbar gewesen ist mit der des legendären Bremer Parteitags 1989, als Helmut Kohl drohte gestürzt zu werden.
Die Reaktion Schäubles ist bemerkenswert. Wo sonst ein klares Veto zu erwarten gewesen wäre, folgt bloßes Schulterzucken. „Ich habe es zweimal abgelehnt, gegen Kanzler zu putschen, in deren Regierung ich Mitglied war.“
Schäubles Sorge vor Flüchtlingsstrom: „Befürchte, dass wir nichts gelernt haben“
Die Entscheidung zugunsten der Grenzöffnung im August 2015 und dem damit einhergehenden Flüchtlingsstrom brachte die damalige Kanzlerin Angela Merkel in Bedrängnis. „Das war ein Fehler“, sagt Schäuble unumwunden. Übrigens nicht erst sieben Jahre später, sondern auch damals. Es loderte in der Union. Durch einen überzeugenden Auftritt auf dem Parteitag besänftigte Merkel die eigenen Reihen.
„Ich hoffe, dass sich das nicht wiederholt“, sagt Schäuble, „ich befürchte, dass wir nichts daraus gelernt haben“. Wenig überraschend möchte Lanz wissen, was der ehemalige Bundesminister damit meint. Daraufhin agiert Schäuble geschickt, um nicht missverstanden zu werden, und bemüht zunächst die Menschenwürde.
Zustände wie in den Flüchtlingslagern an den europäischen Außengrenzen seien nicht verantwortbar. „Aber wir können die Menschen auch nicht im Mittelmeer ertrinken lassen“, sagt Schäuble. Sein Vorschlag: Übergangslager in unmittelbarer Nähe der Staaten, aus denen die Flüchtenden kommen. „Integration ist eine Zweibahnstraße“, nennt er einen weiteren Punkt. Es komme nicht nur auf den Integrationswillen der Geflüchteten an, sondern auch darauf, dass die Deutschen bereit sind, die neuen Mitmenschen in der Gesellschaft aufzunehmen. „Sonst kommt es zu solchen verrückten Erscheinungen wie in der vergangenen Woche“, sagt Schäuble mit Blick auf die Razzia bei den Reichsbürgern.
Schäuble: Soziale Netzwerke und Echokammern fördern Extremismus
Ein weiterer Faktor, der die Demokratie gefährde, sei die veränderte Medienlandschaft. Schäuble spricht über Elon Musk und Twitter, von Donald Trump und den Echokammern in den sozialen Netzwerken. Lanz beschreibt einen psychologischen Effekt, der dazu führen soll, dass Lügen, wenn man sie nur häufig genug wiederholt, als Wahrheit aufgefasst würden. „Das ist nichts Neues, das wusste auch schon Göbbels“, sagt Schäuble. Neu ist aber, dass die sozialen Netzwerke dazu führen, dass Menschen in ihrer Filterblase gefangen sind und nur noch das lesen, was ihre Auffassung bestärkt. „Das fördert den Extremismus“, sagt Schäuble.
Kritik an seiner ehemaligen Parteichefin äußert er auch im Hinblick auf die Energiepolitik. „Ich habe Nordstream 1 kritisiert und Nordstream 2 hielt ich auch für einen Fehler“, sagt Schäuble. Während Nordstream 1 unter dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf den Weg gebracht wurde, trägt für die zweite Pipeline Merkel die Verantwortung. „Deswegen war das Kritisieren für mich bei Nordstream 1 etwas leichter“, schmunzelt Schäuble.
Aber auch sein eigenes Wirken beäugt er durchaus kritisch. „In meiner Zeit als Innenminister von 2005 bis 2009 hatte ich einen engen Kontakt mit meinem russischen Amtskollegen“, erinnert sich Schäuble, „wir haben uns auch wegen der Terrorismusbekämpfung ausgetauscht“. Mit Blick auf die Bombardements in Tschetschenien gesteht er: „Das nannte er auch Terrorismusbekämpfung. Ich hätte darauf kommen können, dass unsere Auffassung davon eine andere ist.“ Dabei macht er sich einen Satz von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zu eigen: „Ich bin so wütend auf uns selbst.“
Die Deutschen als moralische Weltpolizei
Kritik hat Schäuble auch an der aktuellen Energiepolitik der Ampel-Koalition. „Ganz Europa schüttelt den Kopf darüber, dass wir unsere Atomkraftwerke abschalten, während die Energieversorgung noch nicht gesichert ist.“ Dabei lässt sich der Bogen spannen zu Katar und der Fußball-Weltmeisterschaft. Bezogen auf die harsche Kritik an dem Austragungsland sagt Schäuble: „In der moralischen Besserwisserei sind wir Weltspitze. Wir brauchen Katar, wir müssen Gas aus Katar beziehen.“
Schäuble ist 80 Jahre alt und mit seinen 50 Jahren im Bundestag der Rekord-Parlamentarier. Wie lange er noch in der aktiven Politik bleiben möchte, verrät er nicht. Nur so viel: „Mir hat Politik viel Freude gemacht, deshalb bin ich für die 50 Jahre dankbar.“
Markus Lanz – Das Fazit der Sendung vom 14. Dezember 2022:
Es kommt nicht häufig vor, dass ein einzelner Politiker eine Stunde Sendezeit im linearen Fernsehen erhält. Dass ein solches Format aber durchaus lohnenswert sein kann, hat der Auftritt von Wolfgang Schäuble bei Markus Lanz gezeigt. Mit Ehrlichkeit und Reflexionsvermögen ermöglicht Schäuble ungewöhnliche Einblicke in die Denkmuster eines Parlamentariers. Dass es ihm aufgrund seines Alters einfacher fällt als jüngeren Kolleginnen und Kollegen, die ihre Karriere noch vor sich haben, ist klar. Nichtsdestotrotz schmälert dies nicht den Wert dieses Gesprächs. (Christoph Heuser)