Talk bei Maybrit Illner: Der ehemalige US-amerikanische General Ben Hodges gibt sich in Bezug auf die Ukraine siegessicher, warnt aber auch vor Angriffen auf die Infrastruktur.
Berlin – Putin ist in seinem Vorgehen im Ukraine-Krieg weiter unerbittlich: Die Ukraine wurde in dieser Woche von zahlreichen Bombenangriffen auf zivile Ziele erschüttert und es drohen weitere Eskalationen. Aber auch Deutschland ist inzwischen durch Angriffe auf die Infrastruktur direkt betroffen: Windräder, Bahngleise, Pipelines - was kommt als nächstes, fragt Maybrit Illner in ihrem ZDF-Talk unter dem Titel „Heißer Krieg in der Ukraine – hybrider Krieg in Europa?“.
Der ehemalige US-amerikanische General Ben Hodges blickt trotz der Angriffe siegessicher in die Zukunft. Bis zum kommenden Sommer, so ist der General zuversichtlich, werde die Ukraine die russische Besatzung zurückgedrängt haben, und zu ihren alten Grenzen zurückkehren. Hodges schließt auch eine Rückeroberung, der von Russland annektierten und strategisch wichtigen Krim-Halbinsel nicht aus. Vor allem die Sanktionen würden es Russland derzeit schwermachen, einen Waffennachschub sicherzustellen, so Hodges.
„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Omid Nouripour (B‘90/Die Grünen) - Parteivorsitzender, zugeschaltet
- Dr. Gregor Gysi (Die Linke) - außenpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion im Bundestag
- Ben Hodges - Generalleutnant a. D., Nato Senior Mentor for Logistics
- Katrin Eigendorf - ZDF-Auslandsreporterin, zugeschaltet aus Kiew
- Dr. Peter R. Neumann - Experte für Terrorismus und Geopolitik, Autor u.a. „Die neue Weltunordnung“
- Dr. Margarete Klein - Forschungsgruppenleiterin für Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin (SWP)
Ehemaliger US-General Hodges: Putin versucht „den Konflikt in die Länge zu ziehen“
Gleichzeitig macht Hodges keinen Hehl daraus, dass Wladimir Putin derzeit versuche, „den Konflikt in die Länge zu ziehen“, um auch im kommenden Winterhalbjahr die Menschen in den Gebieten mit komplett zerstörter Infrastruktur zu zermürben. Auch weitere schwere Bombardements seien zu befürchten, so Hodges. In Bezug auf die deutsche Infrastruktur ist Hodges skeptisch und hebt namentlich den deutschen General Carsten Breuer hervor, der im Interview mit der Bild am Sonntag in der Woche zuvor die Bedrohungslage für die Infrastruktur in Deutschland thematisiert hatte. Auch Illner zitiert den General in ihrer Sendung mit einem zentralen Satz zur Lage im Land: „Nicht mehr ganz Frieden, aber noch nicht richtig Krieg.“
Es sei richtig, so Hodges, deutlich zu machen, wie die Bedrohungslage sei und mit der Bevölkerung in „einer Art und Weise“ zu sprechen, „dass das ganze Land vorbereitet“ sei. Grünen-Chef Omid Nouripour, der aus Bonn zugeschaltet ist, nickt auf dem Bildschirm zustimmend, als Hodges indirekt den Bundeskanzler kritisiert: „Die politische Führung müsse sich an ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger wenden, als wenn sie mit Erwachsenen reden“.
So wie es in Estland und Schweden praktiziert werde, befindet Hodges und schildert, worauf es seiner Meinung nach besonders ankomme: „Wir müssen alle mehr tun, um unsere Infrastruktur zu schützen.“ Flughäfen, die Deutsche Bahn, vor allem der Hafen in Bremerhaven seien „essentiell wichtig für die amerikanischen Staaten“, aber auch für die Nato. Letztere brauche die „gesamte deutsche Infrastruktur“, so Hodges. Er schlägt Investitionen auf Nato-Ebene vor, um zudem die Cybersicherheit voranzutreiben, die er, so der General a.D., am besten in der Verantwortung des Verteidigungsministeriums aufgehoben sieht.
Korrespondentin berichtet aus Kiew von Zerstörungen der Infrastruktur im Osten des Landes
Die ZDF-Ukraine-Korrespondentin Katrin Eigendorf schildert, aus Kiew zugeschaltet, die Lage im Land: „Ich erlebe, dass die Menschen entschlossen Widerstand leisten, aber es wird eine große Herausforderung“, befindet auch sie. Putin habe mit seinen Angriffen nochmal deutlich gemacht, „was das für ein Regime“ sei. Es gebe „Verzweiflung, viel Tragödie“, so Eigendorf, „aber auch viel Entschlossenheit“. Die Journalistin berichtet von Versorgungsengpässen, die bereits die Hauptstadt erreicht hätten.
Problematisch sei die komplette Zerstörung der Infrastruktur in den befreiten Gebieten im Osten des Landes, in denen die Versorgungsanlagen nicht mehr intakt seien. Eigendorf: „Da funktioniert nichts mehr“. Zudem seien die Schulen, Kitas und auch die Krankenhäuser beschädigt oder zerstört. Schon jetzt gingen den Menschen in der Region ihre lebenswichtigen Medikamente, unter anderem für Diabetes, aus.
ZDF-Korrespondentin bei „Maybrit Illner“ – Selenskyj mit Blick auf Deutschland zuversichtlicher
Die Einstellung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den Eigendorf am Tag zuvor interviewt hatte, habe sie in Bezug auf Deutschland weniger verbittert und zuversichtlicher erlebt als noch vor einigen Monaten. „Selenskyj ist überzeugt davon, dass Deutschland inzwischen verstanden hat, um was es in der Ukraine geht“, so Eigendorf.
Die Osteuropa-Expertin Dr. Margarete Klein sieht in den jüngsten Befehlen Putins eine „Eskalationsspirale“, die er in „ganz verschiedenen Dimensionen“ ausweitet. „Die Hardliner werden stimmgewaltiger“, so Klein, einen Einsatz nuklearer Waffen schließt sie für die nahe Zukunft allerdings aus. Auch Hodges ist skeptisch, was einen Nuklerwaffeneinsatz Russlands angeht, die Menschen „um Putin herum“, würden inzwischen eine Vorstellung davon entwickeln, wie die Lebensrealität in Russland aussehen würde, wenn Putin zum äußersten Mittel griffe, so der Ex-General. „Dann sei es mit dem angenehmen Leben vorbei.“ Die Menschen würden aber ihre Privilegien nicht aufgeben wollen.
„Maybrit Illner“: Nouripour kontert Gysi – schafft es mit jeder Antwort „mich aufzuregen“
Beim Thema Sicherheit in Deutschland stellt der Politologe und Terrorismus-Experte Dr. Peter R. Neumann klar, dass „80 Prozent der kritischen Infrastrukturen in Deutschland“ in „nicht-staatlicher Hand“ liege. „Der Staat brauche hier die notwendigen „Partnerschaften“ mit den privaten Dienstleistern, so Neumann, der auch zum „Zukunftsteam“ von Armin Laschet gehört hatte und er schlägt vor, die Unternahmen an den Kosten der Sicherheit vor allem an den entscheidenden Knotenpunkten zu beteiligen. An diesen sensiblen Punkten reiche es, so Neumann, „zwei Kabel durchzuschneiden, dann ist das ganze Netzwerk kaputt“.
Auf verlorenem Posten in der Runde steht Linken-Urgestein Gregor Gysi, der weiterhin mit Unschuldsmine befindet, dass Deutschland sich aus den Waffenlieferungen heraushalten, diese den europäischen Nachbarstaaten überlassen sollte. Nouripour macht seinem Unmut Luft: „Ich muss einfach beichten, dass Herr Gysi es mit jeder Antwort schafft, mich aufzuregen“, gesteht er. Gysi würde sich der „Verantwortung“ entziehen, befindet der Grüne. „Alle sollen helfen nur wir nicht. Alle sollen sich die Hände schmutzig machen, nur wir nicht.“ Putins Spiel sei, dass der Westen die „Geduld verliere“, so Nouripour weiter und er kritisiert, Gysi würde mit seinen Aussagen Putins Strategie befeuern.
Fazit des „Maybrit Illner“-Talks
Ein relativ ruhiger Talk zu einer weiterhin ernsten, für viele bereits bedrohlichen Problematik. Die Sendung machte deutlich, wie wichtig für Deutschland die Unterstützung der Ukraine, aber auch der Schutz der eigenen Infrastruktur geworden ist. (Verena Schulemann)