Wie einig ist sich die Ampel im Bezug auf den Krieg in der Ukraine und die Rolle der EU? SPD-Frau Katarina Barley befindet: Sehr einig! Der Grüne Sergey Lagodinsky sieht das anders.
Berlin – Ungeschminkte Kritik an der Haltung des Bundeskanzlers in der Ukraine-Frage kommt im ZDF-Talk vom russischstämmigen Grünen-Abgeordneten Sergey Lagodinsky: „Wir brauchen eine Krisenführung, und diese Krisenführung vermisse ich von der höchsten Stelle in unserem Land!“, sagt der EU-Abgeordnete.
Maybrit Illner stellt in ihrem Polit-Talk im ZDF die brutale Zerstörungswut Wladimir Putins an den Anfang ihrer Sendung. Ein Einspieler zeigt ausgebrannte Wohnblocks und zivile Einrichtungen ohne Bedeutung für militärische Strategien. Die Zerstörung der Infra- und Versorgungsstruktur hat inzwischen auch die Hauptstadt Kiew erreicht. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko kommt im Video zu Wort: „Die Russen wollen eine humanitäre Katastrophe in unserer Heimatstadt!“
„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Katarina Barley (SPD) - Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments
- Sergey Lagodinsky (Bündnis 90/Die Grünen) - Mitglied des Europäischen Parlaments
- Dr. Gustav Gressel - Militär- und Sicherheitsexperte vom European Council on Foreign Relations (ECFR)
- Dr. Liana Fix - Russland- und Osteuropaexpertin vom Council on Foreign Relations (CFR) Washington DC
- Alice Bota - deutsch-polnische Autorin der Zeit
Um so weniger habe er Verständnis für die zögerliche Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz, beispielsweise in Fragen zur Waffenlieferungen: „Dieses Hin-und-her und ständig Signale, die etwas widersprüchlich sind“, beschädigten Koalition aber auch das Ansehen Deutschlands in der EU, wettert Lagodinsky weiter. „Wir sind in Brüssel als Deutschland unten durch“, befindet Lagodinsky, der auch mit seiner Rede auf dem Grünen-Parteitag für Schlagzeilen gesorgt hatte, nachdem er in seiner Rede an die Parteikollegen appelliert hatte, man könne die Ukraine nicht mit „Sonnenblumen“ verteidigen.
Lagodinsky schildert einen Luftangriff, den er jüngst bei seinem Kiew-Besuch erlebte hatte und der ihm die Bedrohlichkeit noch einmal hautnah vor Augen geführt habe: „An diesen Stellen wurden ein paar Minuten später Menschen umgebracht“, so Lagodinsky und ihm sei „klar geworden, was für ein Glück wir hatten, dass wir entwischt sind!“.
Politik-Experte sicher: Ukraine-Krieg wird auch noch das nächste Jahr andauern
Die verstörenden Bilder führen in das Thema Illners aktuellen Sendung ein: „Putins neue Terror-Strategie – Ukraine zerstören, Europa spalten?“ Ein Ende des Terrors ist nicht in Sicht. Der Ukraine-Krieg wird auch „das nächste Jahr ausfüllen“, ist sich der Militär- und Sicherheitsexperte vom European Council on Foreign Relations (ECFR), Dr. Gustav Gressel, sicher und gibt der Regierungskritik von Lagodinsky im Kern recht: Es gebe für die dringend erforderliche Produktion von Munition und Panzern „viel zu viele politische Blockaden und Unentschlossenheit“.
Dass die zersetzenden Terrorangriffe und langandauernde Zerstörung eine wohlüberlegte russische Strategie sind, steht für Gressel außer Frage. Dies sei darauf angelegt, der Ukraine auf Dauer die militärische Unterstützung des Westens zu entziehen. Gressel verdeutlicht die perfide Strategie des russischen Machthabers: „Putin baut darauf, dass im Westen jemand auf den Tisch haut und sagt: ‚Selenskij, du musst die Annexion jetzt akzeptieren, oder wir stellen das ein‘!“. Für Artillerie und Panzer östlicher Bauart werde inzwischen die Munition knapp, gibt Gressel zu Bedenken, die bulgarischen Lager seien bereits „leer“. Der Experte appelliert für mehr Engagement der westeuropäischen Staaten, statt den Widerstand der Ukraine „von der tschechisch-bulgarisch-polnischen Munitionsproduktion“ abhängig zu machen.
Gressel hatte zuletzt gegenüber Merkur.de von IPPEN.MEDIA auch die Strategie von Wladimir Putin erklärt. Gerade mit Blick auf die russischen Vorwürfe, die Ukraine plane den Einsatz einer sogenannten schmutzigen Bombe.
Auf Kritik an der SPD-Forderung nach mehr Diplomatie reagiert Barley mürrisch
Die Russlandexpertin Dr. Liana Fix vom Council on Foreign Relations (CFR) Washington DC analysiert aus US-amerikanischer Sicht die geopolitische Situation. Sie rät, Putins direkte und indirekte Atombomben-Drohungen ernst zu nehmen. Auch wenn sie in erster Linie eine „psychologische Operation ist, die gegen die westlichen Gesellschaften geführt wird“. Dennoch sei es auch „nicht völlig auszuschließen“, dass derzeit „auch der Boden bereitet wird für eine weitere Eskalation“.
Für die Kritik an mangelnder Unterstützung vor allem aus dem SPD-Lager muss sich in der Sendung die sozialdemokratische EU-Parlamentsvizepräsidentin Katarina Barley verantworten. Moderatorin Maybrit Illner hält ihr ein aktuelles Zitat von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich entgegen, der die „Diplomatie die wichtigste deutsche Disziplin“ genannt hatte. Barley ist gewappnet: „Wir haben ständige Gesprächskanäle, und jedenfalls ist es mir so kommuniziert worden, dass das durchaus breiter gemeint ist, als es hier jetzt gemünzt wurde.“ Ob die SPD Verhandlungen mit Putin zum jetzigen Zeitpunkt wirklich für richtig erachte, bohrt Illner dennoch weiter. Barley spannt den Bogen größer, zusätzlich zu der „Diplomatie rund um die Parteien Russland und die Ukraine“ seien vor allem „China und Indien“ derzeit relevant.
Illner bleibt skeptisch und zitiert Mützenich erneut: „Die Balance zwischen dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und diplomatischen Initiativen muss endlich hergestellt werden.“ Als sie dann auch noch Barley selbst in die Haftung nimmt, wird diese sichtlich ärgerlich und reagiert ungeduldig: „Die Position, die wir da haben, ist total klar.“ Diplomatie an der Ukraine vorbei sei nicht das Ziel in der SPD.
Barley gibt bei Illner zu: Ohne die USA wird es deutlicher schwieriger für die EU
Journalistin Alice Bota springt Illner in ihrer Kritik zur Seite: „Spanien wollte Panzer liefern, und es wurde aus Deutschland unterbunden“, hält sie der EU-Politikerin vor. Barley blickt irritiert in die Runde: „Natürlich“ sei Deutschland „eine Führungsmacht“, so die EU-Politikerin. Aber man stelle sich nicht an die „Speerspitze der Bewegung“. Es ginge nur gemeinsam - vor allem mit den USA, so Barley.
Was passiere, wenn die USA - beispielsweise nach einem Regierungswechsel nach den kommenden Präsidentschaftswahlen - ihre Unterstützung in der Ukraine zurückfahren würden: „Wer hilft dann der Ukraine?“, will Illner mit einem Blick in die Zukunft wissen. Da gibt auch Barley zu: „Wenn die USA von der Fahne gehen“, so die Politikerin, „wird es deutliche schwieriger“, dann „werde sich Europa deutlich schneller emanzipieren müssen“.
Fazit des „Maybrit Illner“-Talks
In der Sendung wurde deutliche Kritik auch aus dem Grünen-Lager an der derzeitigen deutschen Außenpolitik deutlich. Barley wirkte in der Runde auf verlorenem Posten. Die Dringlichkeit für eine langfristig ausgerichtete europäische Strategie wurde um so deutlicher. (Verena Schulemann)