„Maybrit Illner“

Westen zu langsam bei Iran-Reaktion? Merz macht die Ampel verantwortlich – Nouripour sieht aber EU am Zug

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Friedrich Merz (Parteivorsitzender, CDU) im Gespräch mit Moderatorin Maybrit Illner.

Bei „Maybrit Illner“ im ZDF geht es um die Demonstrationen im Iran. Merz beklagt eine langsame Reaktion und sieht dafür die Ampel in der Verantwortung.

Berlin – In einer Zeit der Sanktionen bringt Maybrit Illner dieses Thema aufs Tableau. Seit dem 16. September, als die 22-jährige Mahsa Amini offenbar von der iranischen „Sittenpolizei“ zu Tode geprügelt wurde, brodelt es im Iran. Die Menschen sind auf der Straße, man spricht von 400 getöteten Demonstranten. Und was tut der Westen? Für den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz auf jeden Fall zu wenig. Die deutsche Bundesregierung habe in einer Fragestunde zum Iran vor wenigen Tagen nur „herumgeeiert“. Er plädiert für eine klare Linie: „Wir werden uns im Westen ganz anders aufstellen müssen.“

Eindrucksvoll hat die junge iranische Fotografin Ghazall Abdollahi zuvor geschildert, was ihr selbst in Teheran widerfahren ist, bevor sie nach Deutschland floh. Sie wurde auf einer Demonstration mit Paintball-Munition beschossen und musste sich in das Auto eines Unbekannten retten. „Ich bin so stolz auf die Menschen, die Bilder machen und Videos machen, die sind so mutig, das ist so toll“, sagt Abdollahi. „Was würden Sie sich wünschen an Unterstützung aus dem Westen?“, fragt Illner. „Das Wichtige ist, man sollte die iranische Regierung isolieren“, antwortet Abdollahi. Und den Flüchtlingen in Deutschland helfen. „Lassen Sie sie studieren, geben Sie ihnen Arbeitsplätze, behandeln Sie sie nicht als Flüchtlinge.“

„Maybrit Illner“: Diese Gäste diskutierten mit

  • Ghazall Abdollahi (Iranische Fotografin)
  • Golineh Attai (Journalistin, ZDF)
  • Friedrich Merz (Parteivorsitzender, CDU)
  • Omid Nouripour (Co-Parteivorsitzender, Bündnis 90/Die Grünen)
  • Alice Schwarzer (Feministin)
  • Düzen Tekkal (Publizistin, Menschenrechtsaktivistin)

Merz lobt die Frauen im Iran. Ihr Verhalten sei bewundernswert. „Wir merken jetzt, was Freiheit wert ist. Zu dieser Freiheit gehört die Verantwortung, dass wir solche Menschen hier auch aufnehmen.“ Man müsse ihnen „einen Status geben, der ihnen Schutz gibt, Studium und Arbeitsplatz in Deutschland ermöglicht.“

Nouripour verteidigt die Ampel – „Es wird von Tag zu Tag schlimmer“

Der Grünen-Co-Vorsitzende Omid Nouripour, der selbst in Teheran geboren wurde und 1988 als Elfjähriger nach Deutschland kam, kritisiert „die langsame Reaktion“ des Westens. „Es ist zum Mäusemelken, wie langsam das geht.“ Aber dies liege nicht an der Bundesregierung, sondern daran, dass viele der Entscheidungen in der EU abgestimmt werden müssten. Für ihn sei es „unheimlich frustrierend und niederschmetternd“, zu sehen, dass Gruppenvergewaltigungen in den Gefängnissen organisiert würden. „Es wird von Tag zu Tag schlimmer.“

Schwarzer über Faesers One-Love-Binde: „Ich finde das sehr verlogen.“

ZDF-Korrespondentin Golineh Attai, ebenfalls im Iran geboren, betont, dass die Proteste eine neue Qualität bekommen hätten. Sie seien schichten-, alters- und generationenübergreifend. Religiöse Verweise fehlten. „Das ist auf jeden Fall neu.“ Feministin Alice Schwarzer, per Bildschirm zugeschaltet, richtet ihre Kritik direkt an Omid Nouripour: „Es waren vor allem die Grünen, die den politischen Islam verharmlost haben. Man hat beim Iran weggeguckt. Man hat den politischen Islam in Deutschland bis heute agitieren lassen. Deshalb gibt es auch diese komischen Sprüche von der Außenministerin.“ Nouripour hört zu und schaut bewusst gelangweilt.

„Wie soll die Hilfe von außen aussehen?“, fragt Illner. Man solle den Botschafter ausweisen und die Konten der Verantwortlichen sperren, so wie es in westlichen Staaten mittlerweile üblich ist, sagt Schwarzer. Die 79-Jährige (wird am morgigen 3. Dezember 80) verliert sich zeitweise in den eigenen Ausführungen – Peitschenhiebe und Haft für eine Rechtsanwältin, ein inhaftierter Regisseur und das Kopftuch als „enormes Politikum“. Auch an der One-Love-Binde, die Innenministerin Nancy Faeser jüngst demonstrativ bei der WM 2022 in Katar trug, hatte sie zuvor bereits Kritik geübt. „Ich finde das sehr verlogen.“

„maybrit illner spezial“: von links nach rechts: Golineh Atai, Friedrich Merz, Maybrit Illner, Omid Nouripour, Düzen Tekkal. Schalte: Alice Schwarzer. Pult: Ghazall Abdollahi.

Nouripour rät der EU, die Verantwortlichen aus dem Iran auf die Terrorliste zu nehmen. Merz stimmt ihm zu, kritisiert aber die träge Reaktion der Bundesregierung. Das wiederum will der Grünen-Politiker nicht stehen lassen. Aus der Bundesregierung gäbe es „genügend klare Aussagen dazu“. Unterstützung erhält Merz von Attai. Es habe in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland und Westeuropa immer mehr Anschlagspläne gegeben. Viele Menschen seien im Visier des iranischen Geheimdienstes. „So wie wir in der Russlandpolitik eine Zeitenwende erlebt haben, brauchen wir auch in der Iranpolitik eine Zeitenwende.“ Attai beklagt „sehr viele festgefahrene Denkstrukturen“.

Merz an Illner: „Ich glaube, die Frage nehmen Sie selber nicht so ganz ernst.“

„Wir reden über ein Regime, das Menschen erhängt“, erklärt die Aktivistin Düzen Tekkal. Der Iran sei eine Gefahr für die eigene Bevölkerung. „Wenn man dieses Unrechts-Mullah-Regime, Mörder-Regime, Mittelalter-Regime, das seine eigene Bevölkerung ausbluten lässt und Kinder tötet, wirklich in seine Schranken weisen will, dann muss man sie maximal isolieren.“ Merz erinnert daran, dass Sigmar Gabriel mit einer großen Wirtschaftsdelegation ausgerechnet in Teheran versucht habe, Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen – „in der irrigen Annahme, dass man durch Handel Wandel erzeugen kann“. Merz sieht die Gefahr in der atomaren Bewaffnung. „Dieses Land wird von China atomwaffenfähig gemacht.“

Die einzige Beruhigung in dieser Region seien für ihn „die Israelis, von denen ich glaube, dass sie es sich nicht bieten lassen, dass dieses Land zur Atommacht wird“. Muss das Atomabkommen beendet werden, will Illner wissen. Ja, antwortet Merz, denn das sei „eine schallende Ohrfeige für alle diejenigen, die bis jetzt verhandelt haben“. Der Iran stehe „ungefähr zwölf Monate vor dem atomwaffenfähigen Material“. Der Westen müsse daher seine Sicherheitsinteressen vollkommen neu definieren. „Die alte Zeit ist vorbei.“ Nun will Illner es genau wissen: „Wenn Friedrich Merz Kanzler wäre, haben wir dann nur noch mit demokratischen Staaten Wirtschaftsbeziehungen?“ Merz duckt sich weg: „Ich glaube, die Frage nehmen Sie selber nicht so ganz ernst.“

Fazit des Talks bei Maybrit Illner:

Eindrucksvolle Schilderungen einer Iranerin treffen auf einen über weite Strecken blassen Friedrich Merz und einen Omid Nouripour als unerbittlichen Verteidiger aller Ampel-Entscheidungen. Alice Schwarzer verheddert sich zeitweise in ihren Erzählungen. Illners Versuch, sie wieder aufzugleisen: „Was wollen Sie sagen, Alice?“ (Michael Görmann)

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