Maybrit Illner will klären, ob die Marder der Ukraine reichen. Mehr wird gefordert – trotz Rätselraten um Putin. Und dann ist da noch das Problem Krim.
Berlin – CDU-Außenexperte Norbert Röttgen wiederholt bei Maybrit Illner gleich zu Beginn alte Vorwürfe: Im Ukraine-Krieg ist alles zu wenig, viel zu spät. „Es hätte viel früher entschieden werden müssen“, sagt Röttgen. In den vergangenen Monaten sei „kein neues Argument hinzugekommen“, das den Panzer-Sinneswandel von Olaf Scholz (SPD) hätte begründen könnte. Der Kanzler handle einfach zu spät. Röttgen orakelt: „Meine Prognose ist: Beim Leopard wird’s genauso sein.“
Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff schlägt in dieselbe Kerbe. Angst vor einer atomaren Reaktion Putins hat sie nicht. „Die Drohung ‚Wenn ihr das jetzt noch liefert, ist das ein Kriegseintritt’, hören wir seit Monaten“, sagt Deitelhoff. „Und passiert ist nichts.“ Ihre Schlussfolgerung, ganz auf Linie mit Ex-US-General Ben Hodges: Man kann und sollte noch mehr Waffen liefern, weil Wladimir Putin weiterhin nicht reagieren wird.
Man müsse dabei aber die „Lage on the Ground angucken“. Also das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Deitelhoff mutmaßt, dass es zwar noch immer „einen leichten Vorteil auf der russischen Seite gibt“ was die Ausstattung angeht. Aber genau deshalb müsse man die Ukraine stärken.
„Illner“ im ZDF: US-Admiral Stavridis erwartet in der Ukraine „sehr schweren Kampf“
Auch ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf regt sich auf: „Was die Ukrainer bestürzt, ist, dass wir nicht zu einer beherzten Lösung kommen.“ Eigendorf ist selbst an der Front gewesen und hat dabei nach eigenen Angaben festgestellt: „Das ist ein Schlachten, was wir da sehen.“ Putin schicke „Kriminelle, Mörder, Psychopathen“ ins Feld.
Der ehemalige US-Admiral James G. Stavridis, per Video zugeschaltet, will „auch den Luftkampf bedenken“. Die Ukraine brauche Kampfflugzeuge wie die MiG-29 aus Polen oder die F-16 – die Piloten müssten aber erst noch ausgebildet werden. Stavridis warnt zugleich davor, „die Ukraine so auszurüsten“, dass sie selbst weitere Schläge auf russisches Staatsgebiet ausführen könnte. „Das wäre sehr gefährlich.“ Aber er muss auch zugeben: Die von den USA gelieferten und von der EU bezahlten Waffensysteme „sind nicht nur defensiv, sie können auch für Angriffe benutzt werden“. Und: „Das wird ein sehr schwerer Kampf.“
Mit Maybrit Illner diskutierten diese Gäste
- Matthias Gebauer – Spiegel-Journalist
- Norbert Röttgen – CDU-Abgeordneter und -Außenexperte
- Nicole Deitelhoff – Konfliktforscherin
- Katrin Eigendorf – ZDF-Korrespondentin
- James G. Stavridis – ehemaliger Nato-Oberbefehlshaber)
- Jessica Rosenthal – Juso-Vorsitzende
Ukraine ohne die Krim: „Selenskyj würde das politisch nicht überleben“
Der Admiral stellt klar, wie er die Fronten sieht: „Die Ukrainer sehen hinter sich ihre eigene Familie, ihre Städte.“ Dafür würden sie kämpfen. „Die Russen, wenn sie sich umdrehen, sehen einen Diktator in Moskau, schlechte Generäle und eine nicht besonders effektive Logistik.“ Die Lage auf der Krim werde allerdings „sehr schwierig“ sein – wegen einer pro-russischen Bevölkerung, die nicht zur Ukraine gehören wolle. Die Krim abzutreten, hält auch Deitelhoff für sinnvoll. „Aber es wäre fatal, wenn sie das tun würden. Selenskyj würde das politisch schlicht und einfach nicht überleben.“
Dass die jetzt genehmigten Panzer viel bewirken werden, zieht Spiegel-Journalist Matthias Gebauer in Zweifel. Die angekündigten 40 Marder-Panzer würden „nur drei bis fünf Kilometer der Frontlinie abdecken“, gibt er zu bedenken. „Es ist keine Wende.“ Aber: „Da ist jetzt ein Tor aufgestoßen worden. Dieser Hemmschuh, wir wollen keine Panzer liefern, der ist jetzt weg.“
Ukraine-Krieg: Konfliktforscherin warnt bei „Illner“ vor weiteren Fehleinschätzungen
Deitelhoff tritt auf die Bremse, sie erinnert an die permanenten Fehleinschätzungen des Westens. Seit Monaten werde immer wieder behauptet, Putin sei am Ende. Der Westen habe die Russen schon mehrfach als „angeschlagen“ angesehen. Deitelhoff muss konstatieren: „Wir wissen nicht, wie es eigentlich um ihre Munitionsvorräte steht.“
Röttgen wiederholt seine Kritik am Kanzler. Dieser zögere und zaudere, „weil es mit seinen russlandpolitischen Vorstellungen nicht vereinbar ist“. Juso-Chefin Jessica Rosenthal wirft sich für Scholz in den Ring: „Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr“, ruft sie mehrfach dazwischen. Für sie sei Führung nicht, „dass einer vorgeht und sagt: ‚So müssen wir es machen.‘“
Aber Röttgen ist sich sicher, „dass der Kanzler den Widerstand nicht aufrechterhalten kann“. Schon vor der Ramstein-Konferenz in der kommenden Woche erwartet er neue Entscheidungen. Gebauer vermisst, „dass man es bereits technisch vorbereitet. Dass man jetzt diskret mit der Industrie spricht, was habt ihr eigentlich was könntet ihr in kurzer Zeit instandsetzen“. Das sei leider bei allen bisherigen Entscheidungen so gewesen. „Das hat mich schon etwas enttäuscht.“
„Der militärische Erfolg der Ukraine ist der einzige Erfolg“, lautet Röttgens Einschätzung. „Unser Ziel ist, dafür alles Mögliche zu tun. Das ist die eigentliche Friedensfrage.“ Illner fragt: „Woher wissen wir eigentlich, dass Putin in dieser schrecklichen Situation ist? Ist er wirklich schon am Ende seiner Möglichkeiten?“ Dafür hat Deitelhoff nur eine ernüchternde Antwort: „Ja das wissen wir eben nicht. Wir spekulieren hier, das müssen wir ganz offen sagen.“
Fazit des Talks bei Maybrit Illner
Selten war der Diskussionsrahmen derart eng gesteckt. Wird Deutschland mit der genehmigte Panzerlieferung zur Kriegspartei? Diese Frage wurden in der Sendung nicht einmal angeschnitten. Auch das Wort Diplomatie fiel nicht ein einziges Mal. Es ging ausschließlich darum, wann noch mehr Waffen geliefert werden, welche und wie viele. Passend dazu hatte Ex-US-Admiral Stavridis einen Spielekarton von „Battleship“ hinter sich positioniert – wie auf einem Verkaufstresen. (Michael Görmann)