Der Winter erschwert die Situation in der Ukraine – muss jetzt ein Frieden her? „Maybrit Illner“ fragt unter anderem bei Alexander Graf Lambsdorff nach.
Berlin – Im einsetzenden Winter hat die Ukraine jüngst auch Militärstützpunkte tief in russischem Gebiet angegriffen. Moderatorin Maybrit Illner möchte wissen, ob die Ukrainer dieses Manöver ohne westliche Hilfe bewerkstelligen konnten. Militärexperte Carlo Masala ist sich sicher, dass der Westen hier nicht die Finger im Spiel hatte, weil die Drohnen ferngesteuert werden.
Der Professor für internationale Politik zeigt sich überrascht darüber, wie angreifbar russische Flugplätze plötzlich sind: „Das ist schon erstaunlich.“ Aber darf die Ukraine einfach so russisches Territorium angreifen? Ja, sagt Nicole Deitelhoff, die Direktorin der hessischen Stiftung „Friedens- und Konfliktforschung“. Die Parteien befänden sich schließlich im Krieg, die Ukraine sei angegriffen worden.
Für eine zusätzliche Eskalation werden diese Angriffe nicht sorgen, so die Meinung von FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff. Die Ukraine habe lediglich auf die Raketenwerfer gezielt, die das eigene Land bombardieren. Auswirkungen haben die Drohnenangriffe laut Marina Weisband dennoch – insbesondere auf die ukrainische Bevölkerung. Für das arg gebeutelte Volk stellen die Manöver ein „Signal der Hoffnung“ dar, welches sie im Winter durchhalten lässt.
Ukraine-Krieg bei „Maybrit Illner“: Ist der Weg frei für Verhandlungen?
Die Ukraine hat in den letzten Wochen einige Gebiete zurückerobern können. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die Energieversorgung im Winter durch russische Angriffe auf die Infrastruktur stark beschädigt wurde, erscheinen Verhandlungen über einen Frieden etwas realistischer geworden zu sein.
Julian Nida-Rümelin nimmt den Zuschauern diese Illusion umgehend. Der stellvertretende Vorsitzende des deutschen Ethikrates glaubt nur an das Zustandekommen von Verhandlungen, wenn beide Seiten akzeptieren, dass ihre Ziele nicht in vollem Umfang erreichbar sind. Weisband nimmt diesen Faden auf: In ihren Augen wird der langfristige Frieden an Russland scheitern. „Es geht Putin um die Zerstörung der Ukraine“, erinnert die Politikerin, die ukrainische Wurzeln besitzt. Aus diesem Grund wird der russische Machthaber die Unabhängigkeit der Ukraine niemals akzeptieren.
Nicole Deutelhoff erachtet es trotzdem als elementar, dass Joe Biden Gesprächsbereitschaft mit beiden Kriegsparteien signalisiert. Der US-Präsident würde Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj damit einen erweiterten Handlungsspielraum ermöglichen.
„Maybrit Illner“: Zeitnaher Frieden spielt Putin in die Hände
Ein Frieden käme laut Weisband aktuell zu einem völlig falschen Zeitpunkt, weil er nur einem Menschen nützen würde: Wladimir Putin. Die Publizistin zeigt auf, dass der russische Machthaber einen Waffenstillstand möchte, weil seine Armee nicht für den Winter ausgerüstet ist. Zudem bekäme Putin mehr Zeit, um die Teilmobilmachung voranzutreiben und seine Strategie zu überdenken.
„Maybrit Illner“ - das waren ihre Gäste am 08. Dezember
- Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion
- Martin Schirdewan, Parteivorsitzender Die Linke
- Marina Weisband, Bündnis 90/DieGrünen
- Julian Nida-Rümelin, stellvertretender Vorsitzender des deutschen Ethikrats
- Nicole Deitelhoff, Direktorin der hessischen Stiftung „Friedens- und Konfliktforschung“ (HSFK)
- Carlo Masala, Militärexperte
Deitelhoff glaubt derweil nicht, dass Putin eine Waffenruhe will, weil er dafür die annektierten Gebiete mit in die Verhandlungsrunde bringen müsste, was er nicht tun wird. Militärexperte Masala erklärt, dass der Präsident Russlands dann sein Gesicht vor seinem Volk verlieren würde. Deshalb ist ein Frieden kurzfristig nicht in Sicht.
Sollte es zu Gesprächen kommen, führt nach Meinung von Graf Lambsdorff kein Weg an den USA vorbei, weil die Menschen in Russland an das Narrativ von der NATO-Auseinandersetzung glauben. Putin muss ihnen also verkaufen, dass die Gefahr durch den Westen minimiert wurde.
„Maybrit Illner“: Muss Deutschland mehr Verantwortung im Ukraine-Krieg übernehmen?
Die Rufe nach deutschen Waffenlieferungen haben in den letzten Wochen nicht abgenommen. Graf Lambsdorff sprach sich dafür aus, weiterhin Waffen und auch Panzer zu liefern. „Ich würde es nicht im nationalen Alleingang machen wollen“, räumt er allerdings im gleichen Atemzug ein. Die Lieferungen können nur in Absprache mit den europäischen Bündnispartnern getätigt werden.
Weisband kritisierte die Bundesregierung für ihre Zurückhaltung. Die Ukraine wisse sehr genau, welche Waffen sie in welchem Umfang benötigt. Deutschland mache sich ihrer Auffassung nach mitschuldig an den Verlusten auf Seiten der Ukraine.
Martin Schirdewan, Parteivorsitzender der Linken, würde den Fokus hingegen nur auf humanitäre Hilfe legen. Der bekennende Pazifist lehnt Waffenlieferungen strikt ab, weil sie den Krieg in die Länge zögen. Für diese Aussage erntet der Politiker nicht von den anderen Gästen, sondern auch von der Moderatorin sichtliche Ablehnung.
„Marybrit Illner“ – Das Fazit der Sendung
Zum Abschluss ihrer Sendung hat Maybrit Illner treffend zusammengefasst, dass man im Ukraine-Krieg zugleich über die Unterstützung der Ukrainer und über mögliche Friedensverhandlungen diskutieren kann. In der Debatte wurde deutlich, dass Letzteres nur durch Ersteres eingeleitet wird. Putin sei laut Marina Weisband etwa nur zu Verhandlungen bereit, wenn er die Notwendigkeit dafür sieht. Ein dauerhafter Frieden stellt somit vorerst eine Utopie dar. (Kevin Richau)