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„Warnschuss Ukraine“: Unions-Fraktionsvize erinnert Scholz an „Zeitenwende“ – und fordert „Dienstjahr“

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Von: Cindy Boden

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Johann Wadephul, CDU-Abgeordneter im Bundestag
Johann Wadephul, CDU-Abgeordneter im Bundestag: Dienstjahr mit neuer Dringlichkeit. © Christian Spicker/Imago (Montage)

Die CDU streitet schon lange über ein Dienstjahr. In der Opposition und mit Blick auf den Ukraine-Krieg soll sich etwas tun. Was ist jetzt damit? Fragen an Johann Wadephul.

Berlin - Es ist schon ein paar Jahre her, aber für Johann Wadephul weiterhin sehr aktuell: Als Annegret Kramp-Karrenbauer, damals noch Vorsitzende der CDU*, 2019 über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht in Deutschland debattierte, moderierte der CDU-Politiker Wadephul eine Abschlussrunde des parteieigenen Werkstattgesprächs dazu. Bürgerjahr, Deutschlandjahr, Gesellschaftsdienst in Deutschland: Solche Begriffe benutzt er auch jetzt im Interview mit IPPEN.MEDIA.

Wadephul sitzt seit 2009 im Bundestag, ist mittlerweile stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union und kümmert sich unter anderem um die Bereiche Auswärtiges und Verteidigung. Der Ukraine-Krieg* habe die Debatte um ein Dienstjahr noch einmal auf eine neue Ebene gehoben, meint er.

Johann Wadephul (CDU) im Interview zum Dienstjahr: „Wir benötigen mehr helfende Hände“

Nach Beginn des Ukraine-Kriegs Ende Februar: Haben Sie seither schon über ein Dienstjahr in Deutschland nachgedacht?

Darüber habe ich schon länger nachgedacht. Ich finde, dass man es sich jetzt noch einmal in neuer Dringlichkeit als Frage stellt. Aber wenn wir ehrlich sind, mussten wir vorher schon erkennen, dass es Gefährdungslagen für Deutschland gibt, denen wir nicht ohne Weiteres gewachsen sind - auch personell nicht. Denken Sie an die Corona-Pandemie*, an die Flut im Ahrtal. Und wenn man sich andere mögliche Krisenszenarien vorstellt, wie größere Cyberattacken, Waldbrände, Hitzewellen, dann kommt man relativ schnell zu dem Ergebnis, dass wir insgesamt mehr helfende Hände benötigen.

Nennen Sie gern ein paar Eckpunkte, wie Sie sich so ein Jahr ausgestaltet vorstellen.

Wir brauchen einen schnellen Einstieg - deswegen würde ich nicht mit einer Pflicht beginnen. Man muss sich das als Option für die Zukunft offenhalten, aber ich denke, wir müssen einen attraktiven und sinnvollen allgemeinen Gesellschaftsdienst jetzt einführen. Der soll natürlich junge Menschen nach der Schulausbildung vorrangig ansprechen, aber für alle Altersgruppen offenstehen. Ich meine, dass dieser Dienst vorrangig in der Bundeswehr geleistet werden sollte. Aber alle anderen sogenannten Blaulichtorganisationen müssen dafür auch offenstehen - Feuerwehren, Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz ... Der Dienst muss natürlich entsprechend attraktiv ausgestaltet sein. Aber wenn man sieht, wie viele, gerade junge Menschen, jetzt ein freiwilliges soziales Jahr, freiwilliges ökologisches Jahr oder ähnliches machen, sehe ich auch eine große Bereitschaft, sich einzubringen.

CDU-Politiker Wadephul zum Dienstjahr: „Wir brauchen eine Vereinheitlichung“

Sie sprechen es an: Es gibt schon freiwillige Angebote. Warum würden Sie aber sagen, man muss noch mehr investieren? Wo hakt es zurzeit?

Ich glaube, wir brauchen eine Vereinheitlichung: Einheitliche, gute Rahmenbedingungen, eine gute rechtliche Absicherung, es braucht klare Rentenansprüche für die Zukunft. Wir brauchen eine vernünftige Bezahlung und auch Zugänge, beispielsweise zum öffentlichen Personennahverkehr, aber auch zu klassischen Eintrittsmöglichkeiten in öffentliche Veranstaltungsräume, wo es Privilegien geben muss. Und es muss für die Zeit nach diesem Dienstjahr eine erleichterte Möglichkeit geben, Studien- oder Ausbildungsplätze zu erreichen. Also wir brauchen hier noch einmal einen richtigen Sprung nach vorne, ein neues Niveau.

Sie sehen vor allem den Dienst bei der Bundeswehr. In der Debatte, die Annegret Kramp-Karrenbauer vor einigen Jahren in den Raum getragen hatte, hatte ich den Eindruck, ging es mehr um Pflegeeinrichtungen. Ist das bei Ihnen nur ein Randaspekt?

Nein, das ist kein Randaspekt, aber ich würde schon einräumen, dass das ganze Thema Sicherheitsvorsorge in einem weiten Sinne für uns auch eine große Dringlichkeit gewonnen hat. Die Bundeswehr* hat 180.000 Frauen und Männer und braucht jedes Jahr 30.000 neue Kräfte, die mit anpacken. Das ist keine Kleinigkeit. Die Bundeswehr möchte sogar noch auf 200.000 Personen wachsen. Und wenn ich in meinem Wahlkreis in die Gesichter der Freiwilligen Feuerwehren gucke, wenn ich mir angucke, was beim Technischen Hilfswerk los ist, dann sehe ich überall Personalbedarf. In einem weiten Sicherheitsbegriff ist das, glaube ich, schon ein stärkerer Fokus als derjenige, der jetzt im Schwerpunkt auf eine Verbesserung der Pflegesituation ausgerichtet wäre, die ich überhaupt gar nicht herunterspielen will.

Allgemeines Dienstjahr in Deutschland: „Frage nicht zuerst, was dein Land für dich, sondern was du für dein Land tun kannst“

Sie würden Kritikern nicht zustimmen, die sagen, Personen im Dienstjahr werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt?

Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Weil der Kern dessen, was Sicherheitsorganisationen und auch die Bundeswehr machen, natürlich weiter professionell ist. Aber ich finde schon, dass der alte Spruch von John F. Kennedy, „Frage nicht zuerst, was dein Land für dich, sondern was du für dein Land tun kannst“, dass der heute eine neue Aktualität hat und bekommen muss. Die Ukrainer leben uns das ja vor. Indem Männer oder auch viele aus dem Ausland zurückreisen und ganz automatisch sagen, ich muss jetzt mein Land verteidigen. Wo auch Frauen viele Unterstützung leisten. Da sind wir doch nur gut beraten, wenn wir uns auf so eine Situation vorbereiten und nicht unausgebildete Menschen solch einen Job machen lassen.

Liebäugeln Sie manchmal doch wieder ein bisschen mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Nein, die alte Wehrpflicht brauchen wir so nicht. Die war ja auch nur für Männer und im Schwerpunkt nur für die Bundeswehr. Wir brauchen bei der Bundeswehr mehr Personal, aber mittlerweile eben selbstverständlich alle Geschlechter, Frauen, auch das dritte Geschlecht sind dort herzlich willkommen. Und wir brauchen sie eben auch in anderen Organisationen. Ich will nicht immer nur schwarzmalen, aber natürlich können wir auch in Hitzesommern weitreichende Waldbrände erleben. Und ob wir die mit Freiwilligen Feuerwehren vor Ort bekämpfen, ist mal sehr die Frage. Ob wir für großangelegte Cyberattacken gewappnet sind, mache ich ein großes Fragezeichen. Glaube ich nicht.

Der Bundeskanzler hat eine Zeitenwende ausgerufen. (...) Das ist ja nicht damit getan, dass man 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellt.

Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

Wie ist in Ihrer Partei, der CDU, aktuell die Debatten-Lage?

Wir müssen das, wenn wir diese aktuelle Krise überwunden haben, neu aufgreifen. Wir müssen nicht automatisch eine gesetzliche Pflicht normieren, sondern wir müssen erst einmal einen Rahmen für ein allgemeines Dienstjahr, einen Gesellschaftsdienst in Deutschland, sozusagen ein Deutschlandjahr, kreieren. Dafür brauchen wir viele rechtliche Rahmenbedingungen, da muss die Rentenversicherung mitspielen, dazu müssen wir das Hochschulwesen, aber auch das Handwerk einbeziehen. Und dazu müssen natürlich auch in manchen Organisationen noch technische Voraussetzungen geschaffen werden. Ich wünsche mir schon, dass die CDU jetzt treibende Kraft bei dieser Idee ist.

Sehen Sie in der Ampel-Koalition* auch Bestrebungen oder offene Türen?

Der Bundeskanzler hat eine Zeitenwende ausgerufen. Er hat sie umfangreich begründet und gesagt, wir stehen vor neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Das ist ja nicht damit getan, dass man 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitstellt und dann ist die Zeitenwende absolviert. Nein, das müssen wir grundsätzlicher, nachhaltiger denken. Da merke ich bei vielen Politikerinnen und Politikern in der Ampel, dass die bereit sind, darüber im breitesten Sinne nachzudenken. Wir sind in der Tat am Anfang einer neuen Diskussion und müssen sie jetzt neu beleben. Das ist ein erneuter Warnschuss, was wir da jetzt in der Ukraine erleben.

Ein Interview von Cindy Boden *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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