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Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Wirtschaftsministeriums will Medien vorschreiben, wie sie über Start-ups und Börsenkandidaten berichten. Vertreter aus Wirtschaft und Politik sind entsetzt.
Berlin – Führende Vertreter der Start-up-Szene in Deutschland haben Beschränkungen bei der Berichterstattung über junge Unternehmen gefordert und damit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schwer in die Bredouille gebracht.
In einem auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlichten Positionspapier forderte der Beirat Junge Digitale Wirtschaft mit Blick auf Start-ups, der Staat solle für „die Gewährleistung einer ausgewogenen Berichterstattung“ sorgen. Zur Durchsetzung forderte der Beirat einen Erlass von „Regeln zur Vermeidung einseitiger diffamierender Artikel“. Zuerst hatte das Handelsblatt über das Papier berichtet.
Beirat Junge Digitale Wirtschaft will Berichterstattungspflicht
Neben der Eingrenzung der Berichterstattung wollen die Branchenvertreter Medien auch vorschreiben, worüber sie zu berichten haben. Es solle künftig auch eine „Verpflichtung der Presse zur Berichterstattung auch über kleine IPOs“ geben, heißt es.
Zu den Mitautoren des Positionspapiers „Börsengänge deutscher Startups“ gehören dem Bericht zufolge neben anderen die Gründerin des Erotik-Versandhauses, Amorelie, Lea-Sophie Cramer, sowie die Investoren Christoph Gerlinger (German Startups Group) und Alex von Frankenberg (High-Tech Gründerfonds).
Wirtschaftsministerium: Beirat wirft Presse Mitschuld an flauem IPO-Markt vor
Zur Begründung für ihre Forderung schreiben die Autoren, Medien trügen eine Mitschuld am schwächelnden Markt für Börsengänge (IPO) in Deutschland. Unter Redakteuren sei ein „regelrechtes IPO- und New-Economy-Bashing verbreitet“, heißt es in dem Papier. So habe die Finanzpresse etwa den Lieferdienst Delivery Hero vor dem Börsengang 2017 als „überbewertete Luftnummer“ zerrissen. Zum Börsengang sei Delivery Hero mit vier Milliarden Euro bewertet worden. Inzwischen ist das Unternehmen Mitglied im Dax, die Marktkapitalisierung liegt aktuell bei 30,4 Milliarden Euro.
Wirtschaftsministerium: Beirat wirft Presse Mitschuld an flauem IPO-Markt
In der Wirtschaft und in der Politik sorgte der Vorstoß der forschen Ministeriumsberater für heftige Kritik. Der langjährige Siemens-Chef Joe Kaeser schrieb auf Twitter: Im Silicon Valley sagt man dazu: „We need to separate the Pepper from the shit“. Diejenigen, die Angst haben, dass ihre Equity Story durch die Pressefreiheit verwässert wird, gehören nicht zur Kategorie „Pepper“.
Der scheidende Bundestagsabgeordnete und bekannte Wirecard*-Aufklärer Fabio de Masi (Die Linke) erklärte, die Börse sei „kein Ponyhof – auch nicht für Einhörner! Wer meint, kritische Berichterstattung staatlich einschränken zu müssen“, habe aus der Wirecard-Pleite nichts gelernt.
Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier* (CDU) hat sich inzwischen von den Forderungen distanziert. „Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind“, verkündete er via Twitter. Das Positionspapier des Beirats Junge Digitale Wirtschaft sei ihm ebensowenig bekannt gewesen, wie seine Veröffentlichung auf der Homepage des Ministeriums. Daher habe er die umgehende Entfernung angeordnet.
Wirtschaftsministerium: Beirat rudert zurück
Angesichts des heftigen Kritik rudert der Beirat Junge Digitale Wirtschaft jetzt eilig zurück. Bei dem Positionspapier habe es sich lediglich um eine „vorläufige Arbeitsversion“ gehandelt, heißt es. Auch personell zieht der Beirat Konsequenzen. Am Dienstag kündigte Start-up-Investor Christoph Gerlinger seinen Rückzug aus dem Beirat an. *Merkur.de ist Teil von IPPEN.DIGITAL.