- VonMarcus Giebelschließen
Deutschland ist dringend auf Gaslieferungen aus Russland angewiesen. Mit umso größerer Anspannung werden die Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 begleitet.
München - Die kommenden werden die Wochen der Wahrheit für Deutschland - ohne zu übertreiben. Denn Mitte Juli wird sich offenbaren, ob die Gaslieferung aus Russland endgültig gekappt wird. Für Wladimir Putin bietet sich dafür nun die ideale Gelegenheit. Ab Montag stehen bis wahrscheinlich zum 21. Juli Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 an, weshalb für diesen Zeitraum über die umstrittene Pipeline keinerlei Gas in die Bundesrepublik fließen wird.
Es ist ein jährlicher Routinetermin, der bislang völlig an der Öffentlichkeit vorbeirauschte. Doch für Russlands Präsidenten wäre es ein Leichtes, die vorübergehende Abschaltung zum Anlass zu nehmen, um den Gashahn anschließend gar nicht mehr aufzudrehen. Als Retourkutsche für die von Deutschland mitgetragenen Wirtschaftssanktionen der EU als Reaktion auf den Ukraine-Konflikt, zu denen auch ein Kohle- und ein Öl-Embargo zählen.
Nord Stream 1 vor der jährlichen Wartung: Russland drosselt Gaslieferung schon zweimal
In den vergangenen Wochen wurden die gelieferten Gasmengen bereits zweimal gedrosselt, was Moskau mit Verzögerungen bei der Reparatur von Gasverdichtern erklärte. Aus Sicht der deutschen Politik gilt dieser Grund jedoch nur als vorgeschoben.
Das Problem für die Bundesrepublik sah so aus: Wegen der Sanktionen gegen Russland konnte eine in Kanada überholte Gasturbine nicht aus Montreal zurückgeliefert werden, wie der Energietechnikkonzern Siemens Energy mitteilte. Mittlerweile haben sich die Nordamerikaner dazu entschlossen, das Bauteil erst nach Deutschland schicken zu lassen, anstatt es direkt nach Russland zu senden.
Video: Zukunft der Energie-Erzeugung - grüner Wasserstoff als Lösung?
Nord Stream 1 und das russischen Gas: Deutschland bekommt benötigte Gasturbine aus Kanada geliefert
Der für Bodenschätze zuständige Minister Jonathan Wilkinson aus dem Kabinett von Premierminister Justin Trudeau erklärte, es werde „eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Erlaubnis“ an Siemens Canada gegeben. Kanada sieht die Not Deutschlands, denn ohne die Gasversorgung würde die deutsche Wirtschaft sehr leiden, zudem seien die Bundesbürger nicht in der Lage, im Winter ihre Wohnungen zu heizen. Ziel sei es daher, Europa „Zugang zu zuverlässiger und erschwinglicher Energie“ zu ermöglichen, während sich die Länder von Gas und Öl aus Russland lösen.
Zudem begründete Wilkinson die aus der Ukraine kritisierte Ausnahme von Sanktionen damit, dass Putin daran arbeiten würde, die Alliierten gegen Russlands Invasion mit seiner Energiepolitik zu spalten: „Das können wir nicht zulassen.“
Nord Stream 1 und die Abhängigkeit von Russland: Gas wird laut Kreml nicht als Druckmittel eingesetzt
Am Freitag hatte Moskau angekündigt, die gelieferte Gasmenge durch Nord Stream 1 wieder hochzufahren, sollte die reparierte Gasturbine aus Kanada nach Russland zurückkehren. „Wenn die Turbine nach der Reparatur kommt, dann erlaubt das eine Zunahme der Umfänge“, zitiert die Agentur Interfax Kremlsprecher Dmitri Peskow, der provozierend nachlegte: „Die Frage ist nur, warum das nicht gleich so gemacht wurde.“ Er nutzte zudem die Chance, um zu betonen, dass Russland sein Gas nicht als politisches Druckmittel einsetzen würde.
Vor Deutschland hatten sich schon andere europäische Staaten gedrosselten Energie-Lieferungen gegenübergesehen. Die Bundesnetzagentur gibt die Gasflüsse durch Nord Stream 1 derzeit mit „40 % der Maximalleistung“ an. Weiter teilt die Behörde mit: „Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin auf diesem niedrigen Niveau verharren, ist ein Speicherstand von 90 % bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar. Von der Reduktion ist die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen.“
Wartungsarbeiten an Nord Stream 1: Arbeiten können offenbar auch 14 Tage dauern
Bei Nord Stream 1 stehen im Zuge der Überprüfung gegebenenfalls Instandsetzungen und Kalibrierungen etwa der Stromversorgung, des Brand- und Gasschutzes sowie bestimmter Ventile an. Außerdem geht es um Software-Updates. Laut der Nord Stream AG bleiben die Offshore-Pipelines weiter unter Druck.
Die Bundesnetzagentur präzisiert, die Arbeiten würden nicht direkt an der Leitung stattfinden, sondern an den Verdichterstationen, etwa in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern, wo die Pipeline wieder auf Land trifft. Die Behörde geht in Modellrechnungen von einer Zeitspanne von bis zu 14 Tagen aus, allerdings wurde hier ein zeitlicher Puffer eingerechnet.
Auch die Nord Stream AG teilt mit, die entsprechenden Arbeiten hätten in den vergangenen Jahren zwischen zehn und 14 Tagen in Anspruch genommen. Teilweise sei von der angesetzten Frist abgewichen worden. Was nicht weiter auffiel. Doch noch nie zuvor wurden die Wartungen von der Öffentlichkeit so intensiv verfolgt, wie es nun der Fall sein dürfte. (mg)